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Der Service des Verschwindens

Sayaka Murata
Die Ladenhüterin
Roman
Aufbau 2018

Was wünschen wir uns eigentlich, wenn wir korrekt und schnell bedient werden wollen? Gewiss einen Menschen wie die Angestellte Keiko Furukawa, die in einem Kiosk arbeitet – einem Konbini, wie er in Japan heißt, einer japanischen Verballhornung des amerikanischen Convenience.

Was Keiko Furukawa hier gesagt und gezeigt bekommt, ist für die Kunden wichtig und für den Laden existentiell. Dass es aber für Keiko der Eintritt in eine neue und sichere Welt bedeutet, schildert dieser Roman, der endlich den Servicegedanken, von dem immer so leichtfertig die Rede ist, zu Ende denkt.

Keiko lernt die richtige Begrüßung der Kunden, den richtigen Gesichtsausdruck und prompten Service. Dass einmal – vor allem durch Nachlässigkeiten der Kollegen, die alle, wie sie selbst, Aushilfen sind – die Kasse unbesetzt sein könnte, ist ihr ein Greuel. Um besser einschlafen zu können, denkt sie an die Arbeit im Konbini. Es hilft ihr der Gedanke, dass alles seinen vorgeschriebenen und geordneten Gang geht.

Dass dann Shiraha im Konbini beginnt, ein ziemlich gewöhnlicher Taugenichts, bringt ihre Welt aus den Fugen. Weder verräumt er die Ware richtig, noch nimmt er die Anweisungen ernst. Sind wir nur Störenfriede der funktionierenden Abläufe, wenn wir jemand sind? Ist die konzentriert verrichtete Arbeit eine bewußtseinserweiternde Meditation? Keiko jedenfalls hat das Ziel, dahin zurückzukehren, wo der Service sie zum Verschwinden bringt.

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Wir helfen

Esther Gerritsen
Der große Bruder
Roman
Aufbau 2018

Die Familie ist Olivia Landmann wichtig. Mit ihrem Mann Gerard hat sie zwei halbwüchsige Jungen, Tom und Julius. Die Familie ist organisiert. Alle stehen mit beiden Beinen im Leben. Alles bestens also. Wenn man zu sehr ins Grübeln geriet, so heißt es an einer Stelle, ging man am besten Tennis spielen. Sie spielten eine Menge Tennis.

Ihre Aufgaben als Finanzdirektorin eines Porzellangeschäfts nehmen sie stark in Anspruch, ein Familienunternehmen, das vor ‚bedeutenden Herausforderungen der Zukunft‘ steht – wie es immer heißt, wenn es mehr Vergangenheit als Zukunft gibt.

Alles gerät für Olivia durcheinander mit dem Anruf ihres lange verschollenen Bruders Marcus, der ihr erklärt, dass man ihn in wenigen Minuten in den Operationssaal bringen werde, um ihm ein Bein abzunehmen. Warum ruft er nicht an, wenn man noch etwas unternehmen kann? Mit ihm meldet sich auch die Vergangenheit, die Olivia nun plötzlich größer erscheint, als die Zukunft.

In diesem knapp erzählten Roman, dem knappen Raum einer Kleinfamilie entsprechend, erzählt Esther Gerritsen vom unblutigen Einsturz der familiären Konstellation – einfach, weil jemand Hilfe braucht.

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Für andere bauen

Jan Böttcher
Das Kaff
Roman
Aufbau 2018

In der Heimkehr schließt sich ein Kreis. Soweit ist Michael Schürtze, der Held in Jan Böttchers neuem Roman noch nicht. Er ist wiedergekommen an den Ort, den man nur verächtlich machen kann: das Kaff. Er ging aus Überdruss, am Ungenügen von jedem und allem, den Eltern, der Schwester Jul, auch an sich selbst, um endlich vom Tischler zum Architekten zu werden.

Zurückgekehrt ist er als Bauleiter – nur für den Sommer. Er kehrt an den Fluss, in die Räume und in die Strukturen seiner Kindheit zurück. Dann beginnt er, die Jugendmannschaft zu trainieren, weil er gefragt wird. Er besucht seine Schwester, die sich um Flüchtlinge kümmert, weil er gefragt wird. Er geht auf eine Abendgesellschaft mit Menschen, für die er baut, weil er gefragt wird. Gesellschaft ist, gefragt zu werden.

Eingeladen wird er von Carla, deren Sohn er in der Mannschaft trainiert. Schließlich zieht er bei ihr ein. Seine Schwester Jul macht es dann rund: Du baust für andere und ziehst selbst ein.

Als er den alten Trainingsplatz für ein sogenanntes Freundlichkeitsspiel zwischen seiner Jugendmannschaft und den Flüchtlingen wieder hergerichtet hat, ist das Ende fast perfekt. Der alte Platzwart Gerwin Münstedt meint aber: Du hast den Mittelkreis vergessen. So rund ist es doch noch nicht.