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Du wirst existiert haben

aaa-vidaxlVendela Vida
Des Tauchers leere Kleider. Roman
Aufbau 2016

Es ist häufig die Irritation, die Abweichung und das Fehlgehen, wodurch uns angezeigt wird, was etwas ist. Was ist unsere Identität? Im Roman von Vendela Vida gibt es in der Stadt Casablanca eine Bar, die Ricks Café heißt, und natürlich wie im Film aussieht, inklusive Klavierspieler und Drink Ingrid. Der Film bringt eine Wirklichkeit außerhalb seiner selbst hervor wie auch dieser Roman von Vendela Vida, der die Identitionsdiffusion seiner Heldin den Leser immer und ständig spüren lässt: er ist in der 2. Person Singular, in der Du-Form also, geschrieben.

Das Manipulative und Zudringliche, das dieser Roman damit für die Leser hat, bemerkt man nicht gleich. Erst wenn man über ihn nachdenkt, sich erinnert, legt sich etwas quer und ist deutlich anders als bei anderen Romanen. Der erinnerte Text dieses Romans erweist sich als näher, wirklicher. Und die Heldin des Buches zieht sich des Tauchers leere Kleider an, sie ist diejenige, die andere in ihr sehen wollen – und dann ist sie verschwunden und lässt ihre Identität wie eine leere Hülle zurück. Das als Antwort auf die Frage nach der Identität.

Der Titel dieses Romans entstammt einem Gedicht von Rumi: Du sitzt hier mit uns, doch ebenso gehst du / früh am Morgen in den Wiesen spazieren. Du bist selbst / das gejagte Tier, wenn du mit uns auf die Jagd kommst. / Du bist in deinem Körper fest wie eine Pflanze im Boden, / und doch bist du der Wind. Du bist des Tauchers leere Kleider am Strand. Du bist der Fisch.

Die erzählte Geschichte spielt in Marokko, wo sich Identitäten schon eimal verlieren können und neue angenommen werden. Reeves, die Heldin der Geschichte, ist auf der Flucht, erhält die Chance eines Jobs als Filmdouble, jemand anderes zu sein. Dann heißt es: Der Film wird ins Kino kommen, und auch wenn sonst niemand wissen wird, dass du das bist auf der Rückbank, dass das dein verhülltes Profil ist, das von weitem zu sehen ist, wirst du es wissen. Du wirst existiert haben.

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Der Käsevertreter

25258195_25258195_xlWillem Elsschot
Käse. Roman
Aufbau 2016

Es gibt lustige Worte. Dazu zählen zum Beispiel Gurkenhobel oder Dattelpalme. Wenn es danach geht, ist ein Buch, das Käse heißt, ein lustiges Buch. Wer nun in diesem wunderbaren Buch weitere lustige Worte erwartet, sieht sich schnell getäuscht. Denn in den Niederlanden ist Käse nicht lustig, sondern ein Lebensmittel.

Willem Elsschot war Unternehmer und Werbefachmann. Sein Buch Käse erschien bereits 1933 und zeigt auf ebenso einfache wie absolut erheiternde Art und Weise was es heißt, mitten in einer Weltwirtschaftskrise eine Ich-AG zu sein.

Elsschot Sinn für Humor zeigte sich schon im Geschäftlichen. Er gab das Buch heraus, das sich Das Goldene Buch des belgischen Widerstandes nannte. Wer hier Anzeigen schaltete, war in Belgien natürlich bekannt für seine Kollaboration mit dem deutschen Kaiserreich.

Elsschot wird sie erlebt haben, diese Frans Laarmans, wie sein Held im Buch heißt, die sich angekommen fühlen, weil ihnen eingeredet wird, nun Teil eines bedeutenden Käseherstellers zu sein, der sie ausersehen hat, ihren Käse zu vertreiben. Ein Aufstieg, der den ganzen Mann erhebt. Nun ist er wer. Er saugt sich voll mit der Bedeutung eines Unternehmens, mit dem er doch eigentlich nichts zu tun hat.

Frans Laarmans ist der mittelmäßige, leicht anmaßende, aber im Grunde harmlose Held der Selbständigkeit. Er giert nach Jahren entwürdigender Lohnabhängigkeit vor allem nach den Attributen seines neuen Status: Büro, Schreibmaschine, Vorzimmer, Briefpapier. Er verschwendet ganze Tage darauf, dem neuen aufstrebenden Unternehmen, das noch nicht einen Käse verkauft hat, sondern im Keller lagert, einen besonders bedeutungsvollen Namen zu geben.

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Die Katastrophe der Befreiung

26053501_9783351036577_xlWillem Frederik Hermans
Die Dunkelkammer des Damokles. Roman
Aufbau 2016

„Wie dieses Buch auf einen deutschen Leser wirkt, weiß ich nicht“, schreibt Cees Nooteboom im Nachwort zu diesem erstmals 1958 in den Niederlanden publizierten Roman. Das Buch wirkt auf den deutschen Leser zweimal.

Zunächst wirkt das Buch als historisches Dokument eines brutalen Überfalls und der Besetzung der Niederlande durch Nazideutschland. Überraschend aber die lange in den Niederlanden beschwiegene Kollaboration der Niederländer, die Hermans offensichtlich schon 1958 darstellt. Oder man vergaß sie einfach, wenn man mit Deutschen sprach.

Dann wirkt das Buch als verstörende Darstellung von Krieg und Widerstand, die überaus nah an der Perspektive der Protagonisten ist. Wie lässt sich diese Perspektive näher beschreiben? Dass der Widerstand gegenüber den Besatzern, wie der Krieg auch, in nichts weniger als Katastrophen und Niederlagen mündete.

Henri Osewoudt, der einen Tabakladen führt, wird von einem geheimnisvollen und ihm nur flüchtig bekannten Offizier Dorbeck für den Widerstand gegem die deutsche Besatzung gewonnen. Henri Osewoudt, dessen Mutter den Vater im Wahnsinn erstochen hat, entwickelt Initiative, konspiriert und wird zum mehrfachen Mörder und all dies im festen Glauben, dem Widerstand zu dienen und Dorbecks Anweisungen zu befolgen.

Hermans gelingt es wie in einem bösen Traum uns immer weiter in das Dickicht alltäglicher Irrtümer und Missverständnisse zu führen und das Ende der Besatzug als dringend gewünschte Befreiung, als Klärung und Beginn der Gerechtigkeit zu erwarten. Für Osewoudt endet der Krieg mit einer Anklage wegen Landesverrat.