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Das Spiel des Bewusstseins

28012016_9783746632407_middleEva Baronsky
Manchmal rot
Roman
atb 2017

Das Debüt von Eva Baronsky war 2010 mit Herr Mozart wacht auf sehr erfolgreich, bis heute. Nun erscheint ihr dritter Roman von 2015 Manchmal rot als Taschenbuch. Virtuos beherrscht Eva Baronsky darin das Erzählen aus der Perspektive ihrer Protagonisten: Christian und Angelina.

Christian ist erfolgreich, ein Banker, ein Mann, dem alles gelingt. Angelina ist seine Putzfrau, die nicht lesen kann und in ihrer Freizeit viel strickt. Beide schildert Baronsky in der Welt ihrer Wahrnehmungen, ihrer Sprache und ihres Denkens, das eigentlich kaum unterschiedlicher sein kann.

Hier ist nichts aufgesetzt, sondern sauber ausgeschnitten. Beide Leben sind genau auf Kante gegeneinander gesetzt. Von seiner Putzfrau weiß Christian nur indirekt, er legt halt zweimal wöchentlich fünfzig Euro hin. Dann hat sie einen Unfall in seiner Wohnung.

Im Krankenhaus bringt Angelina sich das Lesen bei. Ihre Veränderung zeigt sich an ihren Farbwahrnehmungen, die sie mit anderen sinnlichen Eindrücken vor allem Geräuschen verbindet. Aus jedem Klang entsteht ein Farbe, aus jeder Farbe ein Ton. Aus ihrem alten Leben, das von Mandy, Pitt und ihrer Mutter dominiert wird, flieht Angelina in Christians Wohnung. Der Grund ist einfach: er hat ein Klavier.

Eva Baronsky hat mit Manchmal rot einen Roman geschrieben, der wie ein Kriminalfilm funktioniert, bei dem der Regisseur den Ehrgeiz besaß, die gesamte Handlung in einer Telefonzelle spielen zu lassen. Wie ist das eigentlich, als Mozart im heutigen Wien aufzuwachen, wie ist es, alt und pflegebedürftig zu sein, einer Frage, der ihr Roman Magnolienschlaf nachging; hier nun die Versuchsanordnung zweier intellektuell und ökonomisch absolut gegensätzlichen Menschen.

Baronsky erschafft die Innenwelten von Christian und Angelina als Gegenwelten. Und doch mit einem bedeutenden Nebeneffekt: in der Begrenzung ihres Bewusstseins erfahren wir, wie wenig Unterschied es eigentlich macht, wer hier denkt, sieht oder fühlt.

Die durchgehaltene Konsequenz ihrer zwei Perspektiven und der harte Gegenschnitt der Erzählung machen den großen Reiz dieses Romans von Eva Baronsky aus, eines Kammerspiels, das das Spiel und Leben des Bewusstseins ist.

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Eine erschreckende Klarheit

28011494_9783351036652_xl Olga Grjasnowa
Gott ist nicht schüchtern
Roman
Aufbau 2017
aufbau taschenbuch August 2018

Olga Grjasnowa erzählt in Gott ist nicht schüchtern von Amal und Hammoudi. Amal ist eine erfolgreiche Schauspielerin in Syrien. Hammoudi ein junger Arzt, der kurz vor dem Bürgerkrieg nach Syrien zurückkehrt, um seinen Pass verlängern zu lassen. Ihre Leben konnten sie sich auch Dank des Assad-Regimes aufbauen, das sie zugleich verachten. Sie sympathisieren uneingeschränkt mit der Revolution, engagieren sich und verlieren alles.

Grjasnowas Erzählkunst ist zurückhaltend und wirkungsvoll. Das Leben von Amal und Hammoudi ist ohne die Entwicklung des Landes nicht denkbar, aber sie werden an keiner Stelle erzählt, die Geschichte des Landes zu illustrieren.

Zugleich werden den Figuren keine Gefühle zugeschrieben, die eine angestrengte Kunst der Imagination als Leistungsschau vermuten lassen. Im Gegenteil, das neusachliche Erzählen der Gjasnowa zeigt die Tatsachen von Krieg, Flucht und Asyl ohne die üblichen Anzeiger des Entsetzens.

Wir sind so an der Ästhetisierung des Schreckens gewöhnt, dass die Leerstelle, die die Kunst der Gjasnowa bietet, mit einem Schlag deutlich wird. Ein entsetzliche Leere. Wo sonst in Romanen Ästhetisierung herrscht, dadurch dass Lebenslinien zusammengeführt werden, Details der Handlung das große Ganze der Geschichte abbilden und figurenzentrierte Innenwelten anzeigen, was davon zu halten sei, ist hier nur Klarheit und Unerschrockenheit. Eine entsetzliche und erschreckende Klarheit, die eine Erzählperspektive erfordert, die alles andere als Schüchternheit braucht.

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Das Leben ist ein Kolportageroman

27641753_9783451068171_xlYvonne Schymura
Vicki Baum
So herrlich lebendig
Romanbiografie
Herder 2017

Vicki Baum entstammt einer Zeit, in der die Heranwachsenden gegen den Willen der Eltern dicke Romane lasen. So las die junge Baum die Buddenbrooks heimlich. Daher blieb dieser Generation (wie einigen Generationen nach ihnen) die Literatur und das Lesen zeitlebens mit Widerstand und Protest verbunden.

Aus der Zeit der erfolgreichen Bestsellerautorin Vicki Baum erzählt Yvonne Schymura in der Form der Romanbiografie. Vicki Baum veröffentlich bereits 1914 erste Texte, arbeitet und versteht sich aber auch immer als Journalistin. Bis zum Zeitpunkt ihrer Emigration war sie Redakteurin für Zeitschriften im Haus Ullstein. Erst 1929 hat sie mit gleich zwei Romanen Erfolg.

Vicki Baum ist als schreibende Frau die modernde und „neue Frau“ und beschreibt mit dem Roman  Stud. chem. Helene Willfüer zugleich lebensnah wie illusionslos die Arbeitswelt für Frauen. Dieser heute nur selten anzutreffende Roman ist ihr erster großer Erfolg von 1929.

Ebenfalls 1929 erscheint dann auch ihr Welterfolg Menschen im Hotel. Über die wenig glamourösen Bedingungen des Schreibens lässt Vicki Baum kaum einen Zweifel aufkommen, ist doch der Untertitel des Romans bewusst nüchtern: ein Kolportageroman, womit er ganz im Stil der Neuen Sachlichkeit bewusst als Unterhaltungsroman voller Klischees und ohne intellektuelle Ansprüche gekennzeichnet wird. Das Leben ist eben ein Kolportageroman.

Beide Romane sind verfilmt worden, erst in den 1930er Jahren in Deutschland und den USA, dann nochmals, an die nach 1933 zerstörte Tradition trotzig anknüpfend, in Deutschland in den 1950er Jahren. Yvonne Schymura erzählt das Leben Vicki Baums in der Form der Romanbiografie nach, unterhaltsam und leicht. Zitate aus Briefen, Tagebüchern und Werken sind im Text gekennzeichnet. Auch das im Übrigen eine Darstellungsform ganz im Stil der Zeit Vicki Baums.

Hier per Link zu einem Text über die neuerlich aufkommende Genre der Romanbiografie.