// Bücher

Wann kommt der Potter-Effekt? – neue Jugendsachbücher


.
.

.
.
.
.

Vor dem Bücherregal eines sportbegeisterten Dreizehnjährigen und insgesamt mittelmäßigen Schülers fand ich links die Lustigen Taschenbücher (leider ungeordnet, sodass ich meinen Lieblingsband nicht finden konnte) und rechts zahlreiche Schwarten des Genres Fantasy aus den Verlagen Piper und Heyne.

Gut, der Potter-Effekt hat in der Tat zahlreiche Jugendliche dazu befähigt, umfangreiche Bücher in einer Lesegeschwindigkeit zu bewältigen, die keine Langeweile aufkommen lässt. Bleibt zu hoffen, dass diese Proselyten des Lesens auch noch zum Sachbuch kommen. Halten die Verlage die richtigen Bücher bereit?

Über Tier und Mensch haben sich Darwin und Cecile Robelin Gedanken gemacht. Aysegül Acevit und Cem Özdemir schreiben für die zweite und dritte Generation der türkischen Migranten. Dieter Bartetzko und Reinhard Osteroth widmen sich der Technik und Erfindern. Ulrich Woelk guckt mit Tochter Stella in den Nachthimmel.

Aysegül Acevit, Zu Hause in Almanya, Campus 2008
Dieter Bartetzko, Türme, S. Fischer 2008
Mosbrugger, Darwin für Kinder und Erwachsene, Insel 2008
Cecile Robelin, Was ist der Mensch? Campus 2008
Cem Özdemir, Die Türkei, Beltz 2008
Ulrich Woelk, Sternenklar, Dumont 2008
Reinhard Osteroth, Erfinderwelten, Rowohlt 2008

Ein fiktionales Sachbuch

Rohan Kriwaczek
Eine unvollständige Geschichte der Begräbnisvioline
Eichborn 2008

Die ältesten Zeugnisse der Kultur stammen in der Regel aus Grabstätten. So sind Bestattungsriten vielleicht die ältesten und ersten Zeugnisse des Übergangs des Menschen von der Natur zur Kultur. Kurz darauf fand sich auch der erste Experte gewerblicher Eingrabungsarbeiten ein, der Bestatter, dem dann nur wenige tausend Jahre später der Experte für die Umkehrung folgte, der Archäologe. Zur Beerdigung gehörte schon früh semiprofessionelles Musizieren am Sarg, im Altertum die Flöte, im Mittelalter der Gesang und bald nach ihrer Einführung im Barock die Violine.

In Rohan Kriwaczeks Buch Eine unvollständige Geschichte der Begräbnisvioline wird nun die Kulturgeschichte der Begräbnisviolinenmusik, der Begräbnisviolinenkompositionen und der Begräbnisviolinenmusiker erzählt. Ein Buch, das in ebenso ernsthafter wie komplett erfundener Weise ein vernachlässigtes Kapitel unserer Kulturgeschichte präsentiert. Da es für alles bereits Experten gibt – selbst für Ein- und Ausbuddeln – hat sich Kriwaczek sein Gebiet, auf dem er sich als unbestrittener Experte präsentieren kann, kurzerhand selbst erfunden. Damit haben wir hier das seltene Beispiel eines fiktionalen Sachbuchs. Um die Faktizität des Fiktionalen komplett zu machen, präsentiert der Autor dessen Anblick allein schon einen den Schreck in die Glieder fahren lässt, im Internet Hörproben, die den am Sarg Trauernden dem Toten bald nachfolgen lassen. Hier der Link zum Spuk.

Musik macht weise

Joe Boyd,
White Bycicles
Kunstmann 2007

In diesem Buch des Musikproduzenten Joe Boyd bekommt man nichts weniger erzählt als die Geburt des Rock. Neben der Richtigstellung einiger Mythen (Pete Seeger hackte nicht das Kabel der E-Gitarre von Bob Dylon durch!), erfährt man fast alles über den Unterschied der Musikkultur von Amerika und England – nur in England verursachte der Konsum von Dope die charakteristischen Haschischbrandflecken auf dem LP-Cover – und die Entstehung und den Arrangements der Platten von Nick Drake, über die ich dann mit meinem Nachbarn plauderte. All dies und weitere zahllose Einzelheiten erzählt Joe Boyd wunderbar leicht, nebenher und lässig. Nur aus aktuellem Anlass sei hinzugefügt: Boyd benötigt gerade mal fünf unaufgeregte Seiten seine Erfahrungen und Erkenntnisse über die grausliche Scientology-Sekte mitzuteilen. Der Umgang mit Musikern und Musik macht nun wirklich cool und vielleicht auch weise.