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Barock und Debatte

Karl-Heinz Ott
Tumult und Grazie
Hoffmann und Campe 2008

Die Wiederentdeckung der Barockmusik vor 30 bis 40 Jahren vollzog sich auch als Aufstand des Orchesters gegen die großen Diktatoren am Pult, Böhm und Karajan. Sie erlebte ihren ersten Höhepunkt in der Einspielung der Brandenburgischen Konzerte von Bach durch Reinhard Göbel. Danach ging es Schlag auf Schlag, Gezirp auf Geknarr, Gesirr auf Geschnarr. Galt Barock bislang doch als bloße verknarzte Affektmaschine, die die Idee der Subjektivität und Individualität nicht kannte. Adorno, der vielleicht berühmteste Musikverkenner, nannte die Aufführungspraxis auf historischen Instrumenten einen „Rückfall in die Barbarei“, was Ott allzu zurückhaltend mit „erstaunliche Unkenntnis“ quittiert, waren Adornos Gedanken zur Kulturindustrie doch in der Regel alle frei von Empirie. Interessant immerhin, dass gerade durch und mit der Barockmusik sich ein Demokratisierungsschub im Musikleben durchsetzte. Nun, die Zeiten in denen Barockmusik als Debattierclub über Phrasierung und Tempi organisiert war, sind heute auch vorbei. » weiter lesen

Beredtes Schneiden


Annett Groeschner, Arwed Messmer
Verlorene Wege
Verlag für moderne Kunst Nürnberg 2009

Man kann ein Buch schreiben ohne selbst zu Wort zu kommen. Wenn Annett Groeschner also den Text gemacht hat, dann so, dass sie für ihn zuständig war. Sie macht aus Gequatsche, indem sie es lässt und doch nicht allein lässt, Texte. Sie lässt Menschen zu Wort kommen, auch wenn sie Schiefes und Halbes, halb Schiefes und fast Wahres sagen. Die Erinnerung kommt zurück, ungefiltert, aber nicht ungeschützt. Und sie wird durch sie zu einer Erzählung der Arbeitsbedingungen der Wismut-Arbeiter und der Lebensbedingungen ihrer Familien in sogenannten Vollkomfortwohnungen. Diese nannte, was Gröschner im Glossar >vergessener Worte< mitteilen, Heiner Müller, der in diesem zynischen Wort, das nur vorgibt für andere zu sprechen, weil es genau von ihnen stammen könnte, gleich mitvergessen gehört, "Fickzellen mit Fernheizung". Arbeitsleben zwischen transportiert und sediert werden. » weiter lesen

Kokon und Flügelschlag

David Eagleman
Fast im Jenseits
Campus 2009

Was Kinder am Vorlesen so schätzen ist vor allem die ungeteilte Aufmerksamkeit des Vorlesers. Und dann die Geschichten, denen sie sich ganz öffnen können. Das Abenteuer der Entführung in eine Geschichte können sie in der Zuwendung des Vorlesers sicher bestehen. Zuhören als widerspruchsvoller, aber darum auch reizvoller Zustand von Kokon und Flügelschlag in ein und demselben Augenblick.

Als Erwachsene benötigen wir stärkere Mittel. Die Sicherheit des Ortes wird durch Unwetter und Dunkelheit uns wieder bewusst und die Geschichten sind nun Gespenstergeschichten am Kaminfeuer. Vielleicht die von David Eagleman, die sich deshalb so wunderbar eignen, weil sie uns in kurzen Prosastücken kleine Gedankenexperimente über ein Leben im Jenseits bieten. Kleine und feine Schauer laufen uns über den Rücken, etwa so wie bei dieser Geschichte: » weiter lesen